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7. Juni 2021
Redaktion

Das Beste aus beiden Welten

Das Handwerk ist analog, aber es kann auch digital, wenn es Vorteile bringt. Einige sind schon sehr weit, andere erkennen jetzt die Chancen und machen sich auf den Weg, mitgenommen vom Digitalisierungsschub, der durch das Land geht. Wir analysieren die Lage im Handwerk und zeigen die Chancen auf.
Foto: Africa Studio/stock.adobe.com
Stuckateur Max Meister war sich schon länger bewusst, dass er das Thema Digitalisierung in seinem Betrieb forcieren wollte, doch es fehlte einfach die Zeit – bei vollen Auftragsbüchern und zu wenig Personal. In der Corona-Krise wurde ihm die Brisanz deutlich vor Augen geführt. Auf die Schnelle machte er sich mit der virtuellen Kundenberatung vertraut. Ihm wurde bald klar, dass sein Internetauftritt zu wünschen übrig ließ. Außerdem wollte er mit der Digitalisierung betrieblicher Prozesse, wie Zeiterfassung oder Baustellendokumentation, schon viel weiter sein. Die Krise macht vielen Handwerkern deutlich, wo Handlungsbedarf besteht, sei es bei ihrer Präsenz im Internet, in den sozialen Medien oder in der Verbesserung betrieblicher Prozesse.
Buchtipp: Ideen zur digitalen Umsetzung
„Digitalisierung praktisch gestalten – Das 111-Ideen-Buch fürs Handwerk“ von Andreas R. Fischer.
G+F Verlags- und Beratungs-GmbH, Forbach 2018. ISBN 978-3941038-21-9.
 
Die Kunden wollen online shoppen
So stieg der Umsatz von Amazon im ersten Quartal 2020 um 26 Prozent auf 75,5 Milliarden Dollar gegenüber 2019, meldet tagesschau.de. Digitale Vertriebswege zeigten neue Möglichkeiten und Freiheiten auf und die Akzeptanz der Verbraucher stieg sprunghaft an. Die Kunden werden in Zukunft digitale Tools erwarten und suchen, von der Terminvereinbarung online bis zu der Möglichkeit der digitalen Kommunikation. Vielleicht über Chat Bot, wie Matthias Schulze von Maler Heyse. Und natürlich Online-Shops. Gerne auch mit einem Konfigurator, denn dann ist man aktiv dabei. So wie die Betriebswirtin Monja Weber und Malermeister Sebastian Alt. Sie haben bereits im Jahr 2015 die Firma Kolorat GbR in Rhens gegründet und den ersten Online-Farbkonfigurator mit Online-Shop gestartet.
 
Tipp Podcast: DigiCast Folge 1:
Das Malerhandwerk digitalisiert: Interview mit Monja Weber (Kolorat) auf www.handwerkdigital.de/Mediathek
 
Vorgehensweise bei der Digitalisierung: Ihr individueller digitaler Fahrplan
  • Machen Sie eine Bestandsaufnahme: Wo steht Ihr Unternehmen? Welche digitale Infrastruktur, die Sie ausbauen können, ist schon vorhanden? Wo müssen Sie neu ansetzen?
  • Grenzen Sie den Handlungsbedarf ein: Welche Ziele möchten Sie durch die Digitalisierung Ihres Unternehmens erreichen und was müssen Sie tun, um diese zu erreichen?
  • Ermitteln Sie den technischen und personellen Bedarf für Ihr Vorhaben: Welche technische Ausstattung ist erforderlich? Wie können Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Prozess einbinden? Welche neuen Fachkräfte wären für die Umsetzung notwendig? Benötigen Sie externe Unterstützung, zum Beispiel von den Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren? 
  • Klären Sie, welche Kosten anfallen werden und wie Sie diese finanzieren. Wären Fördermittel von Förderbanken oder staatlichen Programmen für Ihr Vorhaben interessant? 
  • Planen Sie die Umsetzung: Prüfen Sie, welche Auswirkungen die Umstellung auf den Geschäftsbetrieb, aber auch die Auftraggeber und Abnehmer hat. Informieren Sie alle Beteiligten und bereiten Sie Führungskräfte und Mitarbeiter auf die Veränderungen vor. Quelle: www.mittelstand-digital.de
 
Plattformen die Stirn bieten 

Denn der Wettbewerb schläft nicht, erst recht nicht die Plattformen. Sie sind die Gewinner in der Krise. „Das ist unfassbar, wir werden echt überrannt“, wird Claudia Frese, ehemalige Chefin der Online-Plattform Myhammer in der Zeitschrift Capital online zitiert. „Allein im April gab es im Vergleich zum Vorjahr rund ein Drittel mehr Aufträge. Im Mai waren es sogar 50 Prozent mehr als noch vor einem Jahr“, führen die Autoren weiter aus. Das lässt ahnen, wohin die Reise geht. Wenn das Handwerk hier die Zügel in der Hand behalten möchte, müssen eigene Angebote her, die dem Kunden die Suche leicht machen, inklusive Angebotsanfrage und Terminkoordination. Es ist auf der einen Seite die steigende Erwartung der Kunden, auf der anderen Seite nehmen die Vorbehalte und Ängste, dass Handwerksleistungen im Zuge der Digitalisierung ersetzt werden können, immer mehr ab. Es werden vielmehr die Vorteile durch Prozesserleichterung gesehen. 

Wo steht das Handwerk?
Immerhin haben 43 Prozent der befragten mittelständischen Betriebe Digitalisierungsmaßnahmen aktiv in ihre Strategie implementiert. Weitere 38 Prozent waren dabei, die Umsetzung einzelner digitaler Projekte zum Zeitpunkt der Befragung vor der Krise gerade anzukurbeln, so die Ergebnisse der Studie Digitalisierungsindex Mittelstand 2019/2020, erstellt von techconsult im Auftrag der Deutschen Telekom. Wie schon in den Vorjahren analysiert der „Digitalisierungsindex Mittelstand 2019/20“ die Transformationsfortschritte der Unternehmen auf vier Handlungsfeldern: Beziehung zu Kunden, Produktivität im Unternehmen, Digitale Geschäftsmodelle sowie IT-Sicherheit und Datenschutz.
 

„Ohne digitale Technik wird in Zukunft kein Gewerk mehr auskommen.“

Holger Schwannecke, Generalsekretär des ZDH

 

Die Veröffentlichung „Digitalisierung im Handwerk – ein Forschungsüberblick“, des Deutschen Handwerksinstituts (DHI) kommt nach der Auswertung von 32 Studien aus dem Zeitraum von 2012 bis 2020 zu folgendem Fazit: „Die Betriebe haben grundsätzlich eine positive Haltung gegenüber der Digitalisierung. Die Handwerksunternehmen nehmen die Digitalisierung als Chance wahr, insbesondere um neue Kundenkreise zu erschließen und die Arbeitslast zu reduzieren.“

 
 
Die Beziehung zum Kunden ist nach der IT-Sicherheit und Datenschutz der zweitwichtigste Bereich im Handwerk, wenn es um Digitalisierung geht. Digitale Prozesse können den Arbeitsalltag erleichtern sowie das Kunden-beziehungs- und Auftragsmanagement erheblich verbessern. Quelle: Studie Digitalisierungsindex Mittelstand 2019/2020
 
 
Im Bauhandwerk sind mobile Apps beliebt
Damit können Mitarbeiter von unterwegs aus auf Kommunikationsanwendungen wie E-Mail, Kalender- und Konferenzlösungen zugreifen, aber auch der -mobile Zugriff auf Geschäftsanwendungen wie etwa die Auftragsverwaltung, vielfach mit Cloudlösungen. Jeder dritte Handwerker (32 Prozent) nutzt eine App zur Zeiterfassung. Ein Bautagebuch, das u.a. den Baufortschritt sowie alle geplanten und erbrachten Leistungen sowie die benötigten Materialien festhält, nutzen bislang 24 Prozent der Handwerker.
 

„Mit der Digitalisierung entstehen zahlreiche Ansätze für Produkt- als auch Prozessinnovationen, welche in kleinen Handwerksbetrieben Qualität und Effizienz steigern können. Insbesondere lassen sich so z.B. administrative Aufgaben vereinfachen.“ Institut für Betriebsführung im DHI e.V.

 

Künstliche Intelligenz (KI) finden zwar die meisten gut, die tatsächliche KI-Nutzung hingegen befindet sich mit 6 Prozent der Betriebe allerdings noch auf niedrigem Niveau. Allerdings verfolgen 24 Prozent der Betriebe konkrete Pläne für den KI-Einsatz innerhalb der nächsten zwei Jahre.

 
Wo die Digitalisierung voranschreitet, setzt man hauptsächlich auf mobile Lösungen. Foto: BullRun/stock.adobe.comHerausforderungen meistern
Die Digitalisierung ist für viele Betriebe eine Herausforderung, was das Know-how, den Zeitaufwand und den finanziellen Einsatz angeht. So seien laut Digitalisierungsindex die hohen Investitionskosten für 35 Prozent der Befragten ein zentrales Problem. „Ein wichtiger Aspekt ist auch der Aufbau von Digitalkompetenz. Die Unternehmen benötigen Mitarbeiter, die mit digitalen Technologien umgehen können und dem Wandel positiv gegenüberstehen. Nur so lässt sich das ganze Potenzial der Digitalisierung erfolgreich ausschöpfen.“ Führungskräfte und Mitarbeiter müssen sich kontinuierlich digital weiterbilden, denn nur wer über das notwendige Know-how verfügt, kann die Digitalisierung im Unternehmen vorantreiben.
 
Angebote für Handwerker: Online-Coaching und Seminare
Unter dem Titel „OnlineCoaching: Vom Prozess zur Strategie – Digitalisierung einfach machen“ bietet das „Kompetenzzentrum Digitales Handwerk“ in Berlin individuelle, einstündige Expertengespräche für Betriebe an. Es wird die Begleitung in der Prozessdigitalisierung, bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle und bei der Umsetzung einer digitalen Strategie angeboten. Die Einzel-Coachings sind kostenfrei, haben einen zeitlichen Umfang von 60 Minuten und werden online per Videochat durchgeführt. Im OnlineCoaching „Prozessdigitalisierung“ geht es um folgende Fragen: Wie implementiere ich digitale Technologien erfolgreich in die bestehenden Arbeitsabläufe meines Unternehmens? Wie kann ich meine Betriebsabläufe effizienter und ressourcenschonender gestalten? Weitere Onlineseminare gibt es mit unterschiedlichen Themen wie „Mobile Endgeräte und Anwendungen im Handwerk“, „Serviceleistungen mit Datenbrillen“ sowie einen Workshop zum Thema „Sicheres Datennetz für den Handwerksbetrieb“. Mehr dazu unter www.handwerkdigital.de
 
Vorsichtig mit Investitionen
Laut einer Studie des Instituts für Betriebsführung im DHI e.V. würden die Unternehmen vorsichtig mit Investitionen in Digitalisierungsmaßnahmen und neuen Technologien umgehen und sie sorgten sich um die IT-Sicherheit. Auch fehlende interne zeitliche und finanzielle Ressourcen, fehlende interne Kompetenzen oder Mitarbeiterqualifikationen sowie unklarer wirtschaftlicher Nutzen würden den Digitalisierungsprozess in Handwerksunternehmen hemmen. „Eine enge Begleitung der Unternehmen ist zur erfolgreichen Durchführung von Digitalisierungsmaßnahmen genauso wichtig wie finanzielle Förderprogramme, Mitarbeiterqualifikation sowie das Einbetten der Maßnahme in die Unternehmensstrategie“, so die Autoren. Genau das braucht unser Stuckateurmeister Max Meister aus dem fiktiven Beispiel zu Beginn des Artikels und er wendet sich damit an seine Handwerkskammer wegen einer Digitalisierungsberatung.
Bärbel Daiber
 
 
Im Interview: Christoph Krause
@servicerebell, Kompetenzzentrum Digitales Handwerk in der Handwerkskammer Koblenz

„Hunderte von Prozessen im Handwerksbetrieb warten auf ihre digitale Vereinfachung.“

 
ausbau+fassade: Herr Krause, die Coronakrise hat vielen Handwerkern klar gemacht, dass sie sich mehr mit ihrer Präsenz im Internet, in den sozialen Medien und mit der Verbesserung betrieblicher Prozesse beschäftigen müssen. Wo liegen die größten Defizite?
Christoph Krause: Genau zwischen den einzelnen digitalen Lösungen, die bereits im Einsatz sind. Das Handwerk ist ja schon digital unterwegs. Jedoch kommen mit jedem neuen Tool auch neue Schnittstellen, Abläufe und IT–
Infrastruktur auf einen zu. Die Komplexität stellt für viele Unternehmen eine enorme Herausforderung dar. Das treibende Thema ist daher Vereinfachung und Automatisierung. Digitalisierung allein und auf Teufel komm raus führt selten zum Erfolg. Es muss immer zu den Prozessen im Handwerksbetrieb passen und die sind nun mal so vielfältig wie das Handwerk selbst.
ausbau+fassade: Was bringt schnell den größten Erfolg bei der Digitalisierung im Unternehmen?
Christoph Krause: Man sollte sich einmal Zeit nehmen und seine digitale Kette vom Kunden ins Unternehmen und zurück vor Augen führen. Nur so erkennt man, welche digitalen Prozesse wirklich Mehrwerte wie Zeitersparnisse oder Kostenersparnisse für das Unternehmen bedeuten. Alles was in die Verbesserung der digitalen Kundenschnittstelle investiert wird, ist immer eine gute Investition in die Zukunft. Dies hat Corona sehr deutlich gemacht.
ausbau+fassade: Womit beginnen die Betriebe tatsächlich am häufigsten?
Christoph Krause: Aktuell stehen die Themen digitale Kundenschnittstellen, digitale Geschäftsmodelle und Prozessdigitalisierung ganz oben auf der Nachfrageliste. Die meisten Unternehmen beginnen natürlicherweise bei einem Problem. Meist ist es eine nicht funktionierende Schnittstelle zwischen zwei Prozessen. Hier kann man wunderbar ansetzen und gleichzeitig bereits die gesamte digitale Kette mitdenken. Das Farb- und Materiallager ist immer noch ein großer Dschungel? Super, schon sind wir mitten drin.
ausbau+fassade: Viele schreckt vielleicht eine umfassende Digitalisierungsstrategie, was raten Sie den Betrieben, womit sie beginnen sollten?
Christoph Krause: Klar. Das Thema mit all seinen Facetten und den unzähligen Buzzwords kann schon verschrecken. Wenn ich meine eigene digitale Landkarte vom Unternehmen einmal vor mir habe, kann ich schnell erkennen, wo sich eine Investition lohnt und eben auch nicht lohnt. Gemeinsam mit unseren Experten aus dem Mittelstand-Digital-Netzwerk kann man in wenigen Schritten den richtigen Anfang finden. Einfach direkt morgen aufschreiben, was an nicht funktionierenden digitalen Abläufen am meisten nervt. Wo drücken wir täglich am häufigsten „Kopieren“ und „Einfügen“? So kommt man am schnellsten dem Prozess auf die Spur, bei dem täglich Zeit, Nerven und Geld verbraucht werden.
ausbau+fassade: Was sind die größten Hürden für die Digitalisierung in den Unternehmen?
Christoph Krause: Zeit. Das Handwerk ist weiterhin sehr nachgefragt. Der tägliche Marathon verhindert weiterhin die nötige Investition in das Thema. Da hilft nur das Thema wirklich als wichtig zu erkennen und die richtigen Mitarbeiter im Unternehmen darauf anzusetzen. Oft finden sich unter dem Nachwuchs digitale Vordenker, denen man nur genügend Freiraum zur digitalen Entfaltung geben muss. Zum zweiten ist es die vollkommen menschliche Gabe zukunftsweisende Entwicklung in ihrer Geschwindigkeit zu unterschätzen. Die Pandemie hat sehr deutlich gemacht, dass die bereits gut digitalisierten Unternehmen enorm im Vorteil waren und sich schnell und agil auf die neue Situation einstellen konnten.
ausbau+fassade: Handwerkerplattformen wie MyHammer boomen noch mehr seit Corona, wie kann das Handwerk sich in diesem Umfeld positionieren?
Christoph Krause: Klar. Durch Corona boomen alle die, die ihren Kunden eine digitale Schnittstelle zur Dienstleistung anbieten. Das funktioniert allerdings nicht nur als große Plattform. Auch als kleiner Handwerksbetrieb mit Webseite kann ich meinen Kunden digitale Mehrwerte wie Beratung, Farbauswahl, Designvorschläge und und und anbieten.
Unser Praxisbeispiel aus dem Malerhandwerk kolorat.de zeigt dies auf wunderbare Weise. Das wichtigste ist hierbei, dass man sich eine echte digitale Community aufbaut. Einfach Likes sammeln bringt nichts, wenn die Kunden nach dem Like meine Dienstleistung nicht buchen.

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ausbau+fassade: Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Herr Krause.
 
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