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5. September 2017
Redaktion

Mangel, Fehler, Schaden

Mit ihren Vorträgen füllen Jutta Keskari-Angersbach und Ralf Schneider immer wieder große Räume bis hin zu ganzen Kinosälen. Die beiden Sachverständigen zeigen auf, welche »Gefahren« zum Beispiel die Anwendung innovativer Entwicklungen mit sich bringen kann – nach dem Motto: »Schlau – aber pleite«. ausbau + fassade sprach mit ihnen.
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Foto: Daniel Baldus

»Mangel, Fehler, Schaden« das interessiert die Fachleute. Das zeigt die große Nachfrage nach Ihrem Seminarangebot »Der Bau, die Falle – arbeiten und (kein) Geld dafür«. Sie sind bundesweit auf hochkarätigen Veranstaltungen präsent und informieren Ihre Sachverständigenkollegen, Architekten, Handwerker und Bauträger. Wie erklären Sie sich die große Resonanz?

Ralf Schneider: Nur wer das Wissen hat, wann eine Mangelbehauptung tatsächlich ein Mangel ist, kann sich zum Beispiel bei vorgeschobenen Mängelrügen gegen dreiste Abnahme- und Zahlungsverweigerer und entsprechend agierende Juristen wehren. Häufig geht es nicht nur um optische oder technische Beeinträchtigungen, sondern um Abweichungen von vertraglichen Vereinbarungen oder unhaltbare Behauptungen, die schon manche betriebliche Existenz gekostet und in den persönlichen Ruin geführt haben. Deshalb ist es für viele, die es noch nicht wissen, unabdingbar, die Definition zum Mangel aus dem BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) und der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), zu kennen und auch anwenden zu können.

Was sind denn wesentliche Unterscheidungsmerkmale zwischen Fehler, Mangel und Schaden?

Jutta Keskari-Angersbach: Schon vorab: einen Unterschied zwischen Fehler und Mangel gibt es nicht und ohne Mangel auch kein Schaden. Im BGB und in der VOB/B werden die Sach- und Rechtsmängel nahezu identisch beschrieben. Die Mangelbetrachtung erfolgt sowohl aus juristischer wie auch aus technischer Sicht, wobei das Ergebnis der Mangelhaftigkeit in der Bewertung sehr erheblich voneinander abweichen kann. Der Jurist unterscheidet im Wesent­lichen objektive und subjektive Merkmale auf der Grundlage der vertrag­lichen Vereinbarungen. Begrifflich geht es um die Beschaffenheit. Der handwerkliche Fachmann sucht nach technischen und optischen Mängeln, die aus den tatsächlichen Leistungen resultieren, nach der Verwendungseignung.

Bitte erläutern Sie dies an konkreten Beispielen.

Jutta Keskari-Angersbach: Der Auftragnehmer hat dem Auftraggeber nach §13 Nr.1 VOB/B beziehungsweise nach BGB § 633 seine Leistung mangelfrei zu verschaffen. Als mangelfrei gilt die Leistung dann, wenn sie die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht. In der Baulandschaft gilt als anerkannte Regel der Technik (a.a.R.d.T.), wenn wissenschaftliche Erkenntnisse und Bestätigungen vorliegen, praktische Erfahrungen gesammelt wurden, diese in Fachkreisen allgemein bekannt sind und sich in der Praxis langzeitig bewährt haben. Und hier liegt in der heutigen Zeit das Problem.

Insbesondere die schnelle Weiterentwicklung von  Werkstoffen, sich kontinuierlich und häufig ändernde Vorschriften und Anforderungen lassen häufig kaum Zeit, dass sich eine allgemein anerkannte Regel der Technik im traditionellen Sinne entwickeln und »festsetzen« kann. Noch geht die Rechtsprechung davon aus, dass, wenn die vorgenannten Merkmale nur teilweise zutreffend sind, es sich »nur« um den Stand der Wissenschaft oder den Stand der Technik handelt. Hieraus folgt, dass Leistungen, die keine Verarbeitungs- oder Materialfehler aufweisen und aus denen auch noch kein Schaden resultiert, bereits deshalb mangelhaft sind, da sie noch nicht als a.a.R.d.T. gelten.{pborder}

Ralf Schneider: An dieser Stelle gilt es zu klären, welches Zeitfenster das Einzelmerkmal »Langzeitbewährung« bisher fordert. Der gültigen Rechtsprechung ist nach meinem Kenntnisstand kein konkreter Zeitraum zu entnehmen. Einzelaussagen von namhaften Juristen waren: mindestens zehn Jahre für eine langzeitige Praxisbewährung bei Trockenbauarbeiten zum Beispiel. Ob dies künftig so bleiben wird, ist fraglich.

Diese Aussage zieht die Schlussfolgerung nach sich, dass die Forderung nach den anerkannten Regeln der Technik eine weitreichende Innovationsbremse darstellt. Daher wird heute bereits diskutiert, ob  »die anerkannten Regeln der Technik« künftig durch den Begriff »anerkannter Stand der Technik« ersetzt werden sollten.

Ralf Schneider: Ein konkretes Beispiel aus der Dämmtechnologie: Vertraglich vereinbart war (vor einigen Jahren) die Ausführung eines Wärmedämm-Verbundsystems auf ein neu erstelltes Mehrfamilienwohnhaus mit 16 cm dicken EPS-Dämmplatten, einer systemzugehörigen Armierungsspachtelung, einem mineralischen Oberputz. Da Innenputz und Estrich noch nicht fertiggestellt waren und der Winter und der Fertigstellungstermin für das WDVS bevorstanden, hat der Auftragnehmer mit bester Absicht eine systemkonforme diffusionsoffene, »gelochte« ­Polystyrol-Fassadendämmplatte zum Einsatz gebracht und auch so den vorgeschriebenen Dämmwert rechnerisch ebenso erreicht. Das Begehren des Auftragnehmers auf Abnahme und Bezahlung der Rechnung hat der Auftrag­geber mit der Begründung abgelehnt, dass ohne entsprechende Information und vertrag­liche Vereinbarung mit ihm ein damals neues Produkt des Systemherstellers verwendet wurde, das nicht die Kriterien der a.a.R.d.T. erfüllt.

Nach Meinung des Auftraggebers führt der Einsatz einer »Schweizer-Käse-Platte« nicht zum Erfolg, das heißt der von ihm ­gewünschten Energieeinsparung. Er wollte daher dieses Produkt nicht. Den Werbeaussagen der besseren Bauaustrocknung möge man Glauben schenken, er tut es nicht. Sein Vorschlag: eine außergerichtliche Einigung. Entweder Rückbau oder 50 Prozent Nachlass auf die vereinbarte Werklohnsumme. Mit diesem Beispiel soll vor Augen geführt werden, dass heutzutage häufig die »Drittfinanzierung =  Restfinanzierung durch Mängelsuche« im Vordergrund steht. Der Bauschaffende muss wissen, welche Fallstricke das geltende Recht beinhaltet.

Gibt es Unterschiede zwischen dem »dummen Verbraucher« und dem »wissenden Baukundigen«? Was ist, wenn die aktuelle Energieeinsparverordnung (EnEV) aufgrund des leeren Portemonnaies des Kunden beim Anbringen eines WDVS »unberücksichtigt« bleiben soll? Ist das ein Mangel oder »nur« eine ­Ordnungswidrigkeit?

Ralf Schneider: Rettende Botschaften den abertausenden von Handwerkern zu vermitteln, ist kaum möglich. Die herstellende Industrie hat die Aufgabe in entsprechenden Daten- und Produktblättern, sowie Informationsbroschüren und sonstigen Veröffentlichungen, wie auch auf Gebindeaufdrucken die Fachunternehmer auf die Problematik innovativer Techniken hinzuweisen. Der ­Appell muss lauten, den Auftraggeber vor Leistungserbringung schriftlich und nachweislich über den Einsatz eines neuen Produktes oder einer neuen Verarbeitungstechnik zu informieren, so dass daraus kein Mangel nach geltendem Recht hergeleitet werden kann. Der Auftragnehmer muss sich seinen rechtlichen Pflichten gegenüber seinem jeweiligen Kunden sehr bewusst sein, um nicht mit einer handwerklich mangelfreien Leistung im Paragrafensumpf der Rechtsprechung unterzugehen. Die alte Volksweisheit ist an dieser Stelle in Erinnerung zu rufen: »Vorne gerührt, brennt hinten nicht an!« Die aktuelle Energieeinsparverordnung, im Zusammenhang mit Wärmedämm-Verbundsystemen, bietet ein reiches Schlachtfeld für Juristen und Handwerker. Wer künftig als Gewinner aus der Schlacht hervorgeht, ist noch nicht entschieden.

Dies wird sich im Übrigen sicherlich auch für alle Baubeteiligten noch verschärfen, wenn ab 1.1.2018 das neue Bauvertragsrecht in Kraft tritt und dies auch für den Bauträger sowie Architekten und Ingenieure, neue, »ungewohnte Regularien« bringt.

Was kann der Fachunternehmer tun?

Jutta Keskari-Angersbach: Möglichen strafrechtlichen Konsequenzen kann der Fachmann jedoch durch umfassende Schulungen, nicht nur des Chefs, sondern insbesondere auch seiner am Objekt tätigen Mitarbeiter vorbeugen. Anhand von zahlreichen Beispielen zu ausgeführten Wärmedämm-Verbundsystemen zeigt unser Sachverständigen-Vortragsdienst (SVD) in vielen Veranstaltungen auf, dass die Bedeutung von Bauaufsichtlichen Zulassungen, die Systemtreue und nicht zuletzt auch die fachlich einwandfreie Ausführung für das handwerkliche Fachunternehmen überlebenswichtig sind. In den letzten Jahren wurden viele tausende Quadratmeter Dämmsysteme wieder zurück­gebaut, da die neuen Medien nicht nur den Unternehmer, sondern auch seine Kunden umfassend informieren. Kleine Mängel bei der Ausführung werden auch vom Laien aufgrund vielfältiger Vergleichsmöglichkeiten unter anderem im Internet, in Schrift und Bild schnell entdeckt. Dies kann jederzeit Anlass zum Auftragsentzug, Rückbau der erbrachten Leistungen, für Minderungen oder langwierige Rechtsstreitigkeiten sein. Insolvenz ist häufig die Folge.

Interview Paul Dolt

Ralf Schneider ist Diplom-Ingenieur,
Architekt und Maler- und Lackierermeister.
Er ist von der Handwerkskammer Wiesbaden ein für die Fachgebiete Putz, Stuck, Trockenbau, sowie Malerarbeiten öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger.
Für die gleichen Bestellungsgebiete wurde auch Jutta Keskari-Angersbach vereidigt. Sie ist Stuckateurmeisterin und ebenfalls Maler- und Lackierermeisterin. Beide Referenten sind Kommentatoren von Fachnormen, bekannte Gastredner bei großen Bausachverständigen­tagungen in Deutschland und dem Deutschen und Internationalen Trockenbautag. Aus der Praxis für die Praxis schulen sie mit ihrem Wissen, auch aus der eigenen jahrzehntelangen Betriebspraxis, Mitarbeiter von großen deutschen Ausbaufirmen, aber insbesondere auch Betriebsinhaber und leitende Mitarbeiter mittelständischer Handwerksunternehmen, im Spannungsfeld Auftragnehmer/Auftraggeber, Technik und recht­liche Hürden.

Ausgabe 09 / 2017

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