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11. Oktober 2021
Redaktion

Nutze die Nische

Je anspruchsvoller und individueller eine Dienstleistung ist, desto mehr Know-how ist notwendig bis hin zur Spezialisierung. Spezialisierte Unternehmen liegen im Trend, bei Start-up-Unternehmen ist es geradezu ein Muss, innovativ zu sein, eine Nische zu finden und zu belegen.
Foto: david madden/stock.adobe.com

Ein Thema, mit dem sich viele Unternehmen beschäftigen und das in der Umsetzung für Erfolg und einen Wettbewerbsvorteil sorgt. Spezialisierung ist ein Naturgesetz, eine gängige Strategie in der Natur, wo sich Pflanzen und Tiere und alle anderen Lebewesen im Wettbewerb um Lebensräume und Nahrung durchsetzen müssen. Um zu Überleben geht es darum, eine Nische zu finden, die noch nicht so viele andere besetzt haben wo die Konkurrenz nicht so groß ist. Das klassische Beispiel ist die Entdeckung von Charles Darwin auf seinen Forschungsreisen, als er feststellte, dass sich auf den Galapagosinseln verschiedene Unterarten von Finken gebildet hatten. Darwin erkannte, dass sich jede Finkenart auf unterschiedliche Nahrungsquellen bzw. Beschaffungsarten spezialisiert hatte, etwa indem sie ihre Schnäbel oder die Flugeigenschaften an einen speziellen Lebensraum anpassten. Sie suchten sich Nahrungsnischen, zu denen andere keinen Zugang hatten. Im Marketing nennt man das Marktnischenpositionierung.

 
Spezialisierung kann ein klarer Wettbewerbsvorteil sein
Der Spezialist beherrscht sein Metier besser als der Generalist, der sich gerne verzettelt und in keinem Bereich herausragende Fähigkeiten besitzt. Die Spezialisierung auf bestimmte Tätigkeiten steigert die Produktivität. Das sind Erkenntnisse von Adam Smith, dem Klassiker der Nationalökonomie. Heute, in Zeiten der Globalisierung und welt-weiten Vergleichbarkeit mit dazuge-hörigem Preiskampf, nehmen viele die Spezialisierung verstärkt als Chance wahr – Spezialisierung liegt im Trend. Marketingfachleute und Unternehmensberatungen propagieren die Spezialisierungsstrategie, denn mit einer klaren Positionierung, in der Nische, fern jeder Konkurrenz lässt sich besser Geld verdienen.{pborder}
 
Vor dem Zweiten Weltkrieg reichte Massenproduktion
„Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Nachfrage nach günstigen Produkten in bestimmten Bereichen hoch. Als Konsequenz wurde die Massenproduktion immer wichtiger. Wenn man einen Arbeitsschritt immer wieder durchführt, wird dieser Schritt immer effizienter. Innovationen wie das Fließband unterstützten diese Entwicklung. Als Konsequenz konnten Produkte, die in größeren Mengen hergestellt wurden, billiger produziert und verkauft werden. Ein erstes Beispiel für Massenproduktion war das Ford T-Modell“, beschreibt Prof. Dr. Michael Steiner von der Universität Witten/Herdecke. „Spezialisierung heißt, dass man unterschiedliche Kundenanforderungen verstehen und Kunden danach gruppieren muss (Segmentierung). Im nächsten Schritt wählt man besonders interessante Zielgruppen aus (Targeting), man positioniert sich, um diesen Zielgruppen durch Positionierung spezifische Angebote zu machen“, führt Prof. Steiner weiter aus.
 

Bedürfnisse gezielt bedienen: Die Idee der Spezialisierung 

Im Marketing geht es darum, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Zentral ist dabei der so genannte „STP-Ansatz“ (Segmentation, Targeting, Positionierung).
  • Segmentierung: Um sich spezialisieren zu können ist es zunächst wichtig, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kunden am Markt zu verstehen. Das heißt, es ist eine Segmentierung der Kunden notwendig, indem man die Kundenbedürfnisse sowie deren Zahlungsbereitschaften erforscht und auf dieser Basis Kundengruppen bildet. Zugleich werden Wettbewerber in Gruppen eingeteilt, um beispielsweise Kernwettbewerber zu identifizieren.
  • Targeting: Sind die verschiedenen Kundengruppen bekannt, werden im nächsten Schritt eine oder mehrere Kundengruppe(n) ausgewählt, die bearbeitet werden sollen (Targeting). Ziel ist eine Spezialisierung, also die gezielte Ansprache einzelner Kundengruppen, und damit auch explizit die Entscheidung, dass bestimmte Zielgruppen nicht bearbeitet werden.
  • Positionierung: Mit dem Wissen über die Anforderungen unterschiedlicher Kundengruppen und der Auswahl bestimmter Kundengruppen, die besonders erfolgversprechend bearbeitet werden können, kann eine Positionierung definiert werden. 
Da Kundenanforderungen heterogen sind, heißt dies für Unternehmen, die sich spezialisieren wollen, für jede Kundengruppe eine separate Positionierung zu erstellen und damit je nach Kundengruppe andere Angebote zu machen und unterschiedliche Preise zu verlangen.
Quelle: Prof. Dr. Michael Steiner
Eine Sache von Angebot und Nachfrage
Nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich die Situation in vielen Märkten dramatisch geändert: Das Angebot an Produkten war nun höher als die Nachfrage. „In einer solchen Situation konkurrieren die Unternehmen um Kunden – die Kunden können sich den Anbieter aussuchen. Dies war der Beginn des Marketings, wie wir es eigentlich heute kennen. Das heißt, Marketing ist eben nicht nur Werbung oder Verkauf. Vielmehr geht es im Marketing darum, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen“, erklärt Prof. Steiner. Insofern sei Spezialisierung spätestens seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eher der Normalfall. 
 
Foto: leremy/stock.adobe.com
 
Spezialisierung gibt es in vielen Bereichen, auch im Gesundheitswesen
So habe die AOK eine stärkere Spezialisierung der Krankenhäuser gefordert, um die Behandlungsqualität und damit auch die Überlebenschancen der Patienten zu verbessern, berichtet Welt online. „Nicht nur bei Krebsoperationen, auch bei anderen planbaren Eingriffen wie dem Einsetzen von Hüftprothesen oder sogar in der Notfallversorgung sei eine stärkere Zentralisierung nötig und möglich.“ Auch bei den Studiengängen sei ein Trend zur Spezialisierung zu erkennen. Laut Welt online gibt es derzeit über 19000 verschiedene Studiengänge. Die Zahl habe sich in den letzten Jahren auch im Zuge der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen erhöht. „Besonders private Hochschulen setzen auf die spezialisierten  Studiengänge, um sich von den staatlichen Universitäten abzugrenzen.“
 
 

Hidden Champions: Ein deutsches Phänomen, das Begehrlichkeiten weckt

Von den weltweit gut 2700 „Hidden Champions“ – auf Nischenmärkte spezialisierte mittelständische Firmen – kommen mehr als 1.300 aus Deutschland. Die kaum bekannten Weltmarktführer machen die einzigartige Stärke der deutschen Wirtschaft aus. In anderen Ländern ist dieser exportstarke Unternehmenstypus, der zwischen Mittelstand und Konzern einzuordnen ist, dagegen weniger verbreitet. Das weckt besonders Begehrlichkeiten bei Staaten, die eine internationale, aggressive Wirtschaftspolitik betreiben. Zwischen 2010 und 2016 haben chinesische Investoren in Baden-Württemberg 58 Hidden Champions und andere Unternehmen übernommen, in Nordrhein-Westfalen waren es 51 und in Bayern 44 Weltmarktführer. Diese Aktivitäten – nicht nur chinesischer Investoren – haben mittlerweile sogar die Bundesregierung auf den Plan gerufen. Sie hat 2017 und 2018 die Außenwirtschaftsverordnung verschärft und sich dadurch mehr Eingriffsmöglichkeiten gesichert.
Quelle: Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft
 
Die Regionen mit ihren Spezialisierungen stärken

Die EU-Kommission will die Regionen in Europa stärker dabei unterstützen, in ihre Wettbewerbsnischen zu investieren. Sie hat dazu die so genannte „intelligente Spezialisierung“ geschaffen. Damit sollen Regionen innovativer und widerstandsfähiger werden und leichter neues Wachstum schaffen können. Ein Beispiel für die Förderung der „intelligenten Spezialisierung“ sind landwirtschaftliche Produkte mit geschützter Ursprungsbezeichnung. Durch drei spezielle Produktsiegel wird die Besonderheit eines regionalen Produkts anerkannt und vor Nachahmung oder Missbrauch von Namen und Bezeichnungen geschützt. In Bayern sind zum Beispiel der „Allgäuer Bergkäse“ und der „Allgäuer Emmentaler“ durch eine geschützte Ursprungsbezeichnung oder „die Bayerische Breze“ oder etwa der „Fränkische Spargel“ durch eine geschützte geografische Angabe gekennzeichnet. Das dritte Siegel ist „garantiert traditionelle Spezialität“. Alle drei Siegel bieten den Verbrauchern Orientierung beim Einkauf von Lebensmitteln.

 

Von den weltweit gut 2700 Hidden Champions kommen mehr als 1300 aus Deutschland. Selbst in den USA und China ist ihre Zahl – gemessen an der Größe dieser Volkswirtschaften – auffallend gering. Quelle: iwd
 
Starke Position des Mittelstands durch Nischenmarketing
Was in den Regionen funktioniert ist im Mittelstand schon länger eine Marketingstrategie und ein echter Erfolgsfaktor. „Mittelständische Unternehmen befinden sich häufig in der komfortablen Situation, in ihren Nischen oder durch konsequente Spezialisierung eine starke Position bis hin zur Weltmarktführerschaft einzunehmen“, wissen die Autoren des neunten Bands der Studienreihe „Erfolgsfaktoren im Mittelstand“. Der Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, aber auch in anderen Ländern. „Was in der Bundesrepublik hervorsticht, ist vielmehr die hohe Bedeutung des größeren Mittelstands, also der Unternehmen mit 250 bis 3000 Mitarbeitern. Und in dieser Kategorie gibt es ungewöhnlich viele international sehr erfolgreiche Firmen, die sich auf Marktnischen spezialisiert haben: die „Hidden Champions“, schreibt der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) – siehe Kasten unten.
 
Speziell, aber nicht zu speziell
„In Zeiten der Digitalisierung muss die Strategie für kleinere Unternehmen heißen: unbedingte Spezialisierung auf bestimmte Themen und auf die Nische“, betont auch August-Wilhelm Scheer, Unternehmer und Wissenschaftler der deutschen Informationstechnik. Zugleich warnt er, dass dies kein Selbstläufer sei. „Denn je spezieller ihr Produkt oder ihre Dienst-leistung ist, umso schmaler wird ihr Businessmodell. Zudem setzen diese Firmen häufig veraltete Technologien ein. Das macht sie unflexibel. Und wer in seiner Nische wirklich gut ist, wird schnell von den großen Unternehmen aufgekauft“, meint Scheer im Interview mit Markt und Mittelstand online. Viele hätten auch Angst, durch Spezialisierung oder die Fokussierung auf eine Nische, Menschen von ihrem Angebot auszuschließen. Diese Angst wird als „Fear of Niching“ bezeichnet. Denn jedes Unternehmen will ja grundsätzlich eine möglichst große Reichweite generieren.
 
 
Wie will ich mich im Labyrinth der Angebote positionieren? Wo sind meine Zielkunden? Foto: denisismagilov/stock.adobe.co
 
Eine gute Methode ist die „ganzheitliche Spezialisierung“
Der „spezialisierte Generalist“, wie ihn die Strategieberaterin und Bestseller-Autorin Kerstin Friedrich im Kasten oben beschreibt. „Wenn ein Stuckateurbetrieb sich beispielsweise auf anspruchsvolle Oberflächengestaltung spezialisiert hat, kann er innerhalb dieses Tätigkeitsbereichs weitere  Arbeitsfelder belegen, an Boden, Wand und Decke, mit unterschiedlichen Materialien usw. Das bedeutet, er ist im Spezialarbeitsgebiet ‚anspruchsvolle Oberflächen‘ ein Generalist.“
Bärbel Daiber
 
Foto: privatIm Interview: Dr. Kerstin Friedrich, Strategieberaterin und Autorin

„Je höher die Kaufkraft einer Gesellschaft, desto größer ist der Drang der Kunden nach Spezialisten.“

 
ausbau+fassade: Frau Dr. Friedrich, was wird zurzeit in der deutschen Wirtschaft mehr gebraucht – spezialisierte Unternehmen oder Generalisten bzw. gibt es einen Trend zur Spezialisierung?
Kerstin Friedrich: Spezialisierungen gibt es seit tausenden Jahren, man denke nur an die Handwerker, die sich auf die Verarbeitung verschiedener Materialien spezialisiert haben, wie Metall, Holz, Farben usw. Das wirtschaftliche Wachstum ist aus der Spezialisierung entstanden. Ich sehe die Zukunft nicht in entweder Generalist oder Spezialist, es geht vielmehr um eine ganzheitliche Spezialisierung, um den „spezialisierten Generalisten“.
 
ausbau+fassade: Wie beurteilen Sie die Aussage, dass die Verbraucher in Deutschland immer anspruchsvoller würden und daher häufiger Spezialisten aufsuchten?
Kerstin Friedrich: Der Trieb, anspruchsvoll zu sein, ist uns Menschen quasi in die Wiege gelegt. In Deutschland sind die Grundbedürfnisse der Menschen in der Regel befriedigt, wir sind satt und suchen nun das Besondere. Insofern kommt der Drang zur Spezialisierung ganz stark vom Kunden, der eine Lösung für sein individuelles Bedürfnis oder Problem sucht; und zwar auf die bestmögliche Art und Weise. Hierfür sucht er einen Spezialisten, denn der Kunde weiß: Wer sich spezialisiert, kennt sich am besten aus, denn der Spezialist kann sich ja ganz auf die Problemlösung konzentrieren, um die beste Leistung zu erbringen. 
 
ausbau+fassade: Wodurch wird ein Trend zur Spezialisierung ausgelöst?
Kerstin Friedrich: Durch Wettbewerbsdruck. Wenn zu viele Unternehmen dasselbe An-gebot haben, dann entscheidet der Kunde nach dem Preis oder wählt zufällig ein Unternehmen aus. Um dem zu entkommen, bieten Unternehmen spezialisierte Angebote und Dienstleistungen an, die sich deutlich von anderen unterscheiden und einmalig sind.
 
ausbau+fassade: Wann macht Spezialisierung im Unternehmen Sinn bzw. von welchen Faktoren hängt es ab, in welchen Unternehmens-bereichen man sich spezialisieren sollte?
Kerstin Friedrich: Sinn macht es immer, wenn der Preiswettbewerb zu groß wird. In welchem Bereich ich mich spezialisieren möchte, hängt ganz einfach mit dem Lustprinzip zusammen. Ich rege meine Kunden immer an, sich zu fragen „Was mache ich richtig gerne, wofür schlägt mein Herz?“. Im Handwerk ist die Motivation häufig, dass man mehr interessante Arbeiten will oder raus aus der Ausschreibungsmühle. Spezialisierungsmöglichkeiten gibt es, solange es noch ungelöste Kundenprobleme gibt. Eine Idee wäre, dass Stuckateurbetriebe sich auf die Renovierung von Büros über das Wochenende spezialisieren und damit das Kundenbedürfnis, keine Ausfallzeiten zu haben, erfüllen.
 
ausbau+fassade: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Friedrich.
 
 
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