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8. Dezember 2022
Redaktion

Kalk für Strohwand

Eines der größten strohgedämmten Mehrfamilienhäuser in Deutschland erreicht mit einem dicken Putz aus Luftkalk mit etwas Zement außen und ebenso viel Lehm innen den Brandschutz. Das umweltfreundliche und wohngesunde Projekt hat nicht nur deshalb eine herausragende Umweltbilanz.


Fotos: Dirk Scharmer

Der Architekt Dirk Scharmer von deltagrün plante den Speicherbogen gemeinsam mit Maike Möhring und Stephan Seeger von arch.tekton. Mit 19 Einheiten bietet das Projekt insgesamt 2230 m² Wohnfläche für 47 Bewohnerinnen und Bewohner. Der moderne Stroh-Holzbau mit den natürlichen Baustoffen Holz, Stroh, Kalk, Lehm und Zellulose kommt weitestgehend ohne CO2-intensive Materialien aus. Ein Großteil der Baustoffe und -teile ist kreislauffähig. Sie sind einfach und sortenrein zerlegbar und wiederverwendbar und kompostierbar. Dirk Scharmer betont die Nachhaltigkeit: „Das Stroh ist beim Getreideanbau nebenbei angefallen. Für die Herstellung werden dadurch besonders wenig klimaschädliche Emissionen frei und der Bedarf an fossiler Energie ist minimal.“ Er schützt das Stroh durch Kalk und Lehm, detaillierte auch sonst möglichst einfach und verzichtete auf eine Behandlung der Baumaterialien – beispielsweise bei den Holzoberflächen aus Eiche oder Lärche. Im Innenbereich sorgen Holzböden, diffusionsoffener Lehmputz und Kalkfarbe für ein gesundes Wohnklima.

Holz ohne Leim

Scharmer spart durch die Verwendung von sägerauem Schnittholz für die Konstruktion fossile Emissionen und Energie. Vehement betont er die Vorteile gegenüber dem üblichen Holzbau: „Wir wollen unbedingt, dass das Stroh direkt verputzt wird und wir keine verklebten Holzplatten brauchen. Dadurch müssen auch keine hochexakten verleimten Konstruktionshölzer eingesetzt werden.“ Um den Schallschutz der Außenwände zu verbessern ist der Lehmputz vor den Geschossdecken abgesetzt. So kann es zu keiner Körperschallübertragung kommen.

{pborder}Einbau Stroh

Die nach der europäischen technischen Bewertung ETA von 2017 maschinell komprimierten Baustrohballen kamen von einem 50 km entfernten Landwirt. Strohbauer bereiteten die Strohoberflächen gleichmäßig und ebenflächig vor und tackerten auf alle Hölzer eine 8 mm dicke Holzweichfaserplatte. An diese arbeiteten sie eine Sauberkeitsschicht aus dem Kalk-Zementputz 73 Pajalith von Gräfix an, den sie gut in das Stroh einarbeiteten und nach dem Antrocknen aufrauten. Der Putz ist eigens für das direkte Verputzen von Strohelementen konzipiert und wird in Säcken geliefert. Er enthält neben dem Hauptbindemittel Luftkalk auch einen geringen Anteil an Portlandzement, der das Abbindeverhalten befeuert. Bestandteile sind zudem mineralische Leichtzuschläge Perlite und Blähglas sowie verstärkende Fasern. Der Brandschutz der Strohwände ist nur mit diesem Produkt nachgewiesen. Für F30 genügen 1 cm. 3 cm erreichen F90.

Eine Sauberkeitsschicht aus Luftkalk mit wenig Zementanteil wurde handwerklich in das ebenflächige Stroh der Wände eingearbeitet.

Auch die gerundeten Wände bestehen aus Vollholzprofilen, die mit Baustrohballen ausgefacht wurden.

Verarbeitung Kalk auf Stroh

Die Sauberkeitsschicht außen verputzten Nusreddin Etdöger mit seiner Bremer Firma NE Putzunternehmen mit dem gleichen Putz auf Luftkalkbasis weiter. „Der Putz muss ein bisschen Bewegung aufnehmen können“, begründet Scharmer die Wahl des Putzes. „Wir haben es insgesamt mit einer eher weichen Konstruktion zu tun.“

Etdöger ist Stuckateurmeister mit 30 Jahren Berufserfahrung. Seit mehreren Baustellen verarbeitet er mit seiner Firma für Scharmer Kalk und inzwischen auch Lehm. Eine Internetseite hat er nicht. „Ich mache keine Werbung“, bestätigt er. „Ich brauche nur Mund zu Mund Empfehlungen von zufriedenen Kunden.“

Nach dem gründlichen Vornässen sprühten Etdöger und 3 bis 4 seiner Mitarbeiter den Putz mit einer PFT G4 in 2,5 cm Stärke auf und zogen ihn mit der Alukartätsche plan ab. Für die 11 m hohen Wände genügte ihnen ein insgesamt 25 m langer Schlauch. Darauf arbeiteten sie ein Glasfasergewebe flächig mindestens 3 mm tief ein. Alle Ecken bewehrten sie zudem längs zur Diagonalen der Öffnung und rauten den Putz je nach Witterung nach 4 bis 5 h auf, damit sich die Putzlagen gut verzahnen. Der Hersteller empfiehlt die beiden Armierungslagen in zwei Putzschichten einzuarbeiten, damit das Gewebe sicher von Putz umhüllt ist und nicht etwa beim Aufrauen freigelegt wird. Etdöger hat mit seiner schnelleren Ausführung gute Erfahrungen gemacht. Am nächsten Tag nebelte er die Flächen noch einmal ein und wartete die Standzeit von 25 Tagen ab. Nach einem erneuten Einnebeln putzten seine Mitarbeiter die zweite Schicht von 0,5 bis 0,8 cm auf und filzten sie nach dem Anziehen. Nach dem gänzlichen Austrocknen wurde sie von einem Maler mit der hydrophobierten Dispersionssilikatfarbe 614 von Gräfix gestrichen.

Der hoch diffusionsfähige Leichtputz garantiert den Brandschutz ganz ohne Holzplatten.

Lehmputz

Von innen erhielten die Wände einen 3 – 4 cm starken Lehmputz in zwei Lagen incl. Sauberkeitsschicht. „Das Stroh ermöglicht ohne Extraaufwand den Einsatz des besonders gesunden und umweltfreundlichen Lehm als Putzbekleidung“, erläutert Scharmer. Der Brandschutz von Lehm ist ähnlich wie der von Kalk. Eine Prüfung mit einem Lehmputz von Claytec für die Sauberkeitsschicht liegt vor. Mit einer Abweichungserklärung wurde für alle drei Schichten Lehm von Conluto verwendet. So ist der Wandaufbau brandsicher und zudem wohngesund. Vom Landkreis Lüneburg erhielt es deshalb eine „Grüne Hausnummer“. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zeichnete es mit dem HolzbauPlus-Sonderpreis „Strohgedämmte Gebäude“ aus.

Achim Pilz

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Foto: kuraphoto/AdobeStock_428914080
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