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25. Februar 2020
Redaktion

Haftbrücken haften nicht immer

Immer wieder kommt es zu Schäden bei Gipsputz auf Betonuntergründen. Der folgende Artikel will neuere Erkenntnisse zum Mechanismus der Phasenneubildung in allgemeinverständlicher Form anhand eines Schadenbeispiels erläutern.


Foto: Kerrin Lessel

Betondecken im Wohnbau werden überwiegend mit Gipsputzen verputzt oder mit gipsgebundenen Spachtelmassen beschichtet. Gipsputz haftet auf Betonuntergründen im Wesentlichen durch mechanische Adhäsion, das heißt Gipskristalle aus der gesättigten Lösung des Gipsputzes „umwachsen“ die Unebenheiten der Betonoberfläche und stellen dadurch einen Verbund her (für eine detaillierte Beschreibung siehe zum Beispiel Quelle 1).  Dieser Prozess wird als kristalline Vernadelung bezeichnet. Sogenannte Haftbrücken oder Kunststoffzusätze zum Putz („Haftputz“) beziehungsweise den Gipsspachtelmassen sollen vor allem die Anfangshaftung verbessern. Immer wieder kommt es zu Abstürzen von Deckenputzen oder Ablösungen von Deckenspachtelungen. Teilweise treten diese noch während der Bauphase oder kurz nach der Fertigstellung der Objekte auf, zum Teil stürzt der Putz auch erst nach Jahren – oft ohne erkennbaren Anlass – von der Decke.{pborder}

Prinzipskizze zur Haftungsstörung durch Syngenitbildung: Links: kristalline Vernadelung des Gipsputzes (grün) mit dem Beton (schwarz) Rechts: Anlösung der Gipskristalle (grün) durch Feuchte, dadurch Freisetzung von Sulfationen (lila), gleichzeitig Wanderung der Kaliumionen (orange) aus dem Beton Rechts: Reaktion von Kalium mit Sulfat zu Syngenit (rot); Syngenitkristalle (rot) ersetzen die Gipskristalle (grün). Foto: Kerrin LesselSchadenbeispiel Ablösung von Deckenspachtelungen
Unter den möglichen Schadenursachen, welche in der Fachliteratur diskutiert werden, gelten als die beiden wichtigsten die sog. Phasenneubildung an der Kontaktfläche Gipsputz – Beton, wobei der Gips durch andere Mineralbildungen ersetzt wird, und das Lösen des Gipses an der Kontaktfläche. Wobei die festigkeitsgebenden Gipskristalle durch Feuchtigkeit „aufgelöst“ beziehungsweise angelöst werden. Ein Hotel in einem alpinen Tourismuszentrum wurde umgebaut und erweitert. Die Bauarbeiten wurden in der Zwischensaison, das heißt von September – Dezember, durchgeführt. Es wurden unter anderem neue Fertigteildecken eingezogen. Die Innenräume wurden während der Roh- und Ausbauarbeiten zum Teil per ­Kondenstrockner entfeuchtet, andererseits kam es auch zu Niederschlagswassereintritten in den Rohbau. Zu Beginn der Spachtelarbeiten sahen die Fertigteildecken augenscheinlich trocken aus. Eine vertiefte Prüfung der Betonfeuchte wurde durch den Stuckateur nicht durchgeführt. Die Decken wurden mit einer kunstharzmodifizierten Gipspachtelmasse verspachtelt, wobei vermutlich zum Teil keine Grundierung verwendet wurde. Bereits einige Monate nach der Fertigstellung begann sich partiell die Spachtelung abzulösen. Ausbesserungsversuche mit Einlage von Textilglasgitter funktionierten nicht. In einzelnen Zimmern wurde die hohl liegende Spachtelung entfernt, eine Tiefengrundierung und eine andere Gipsspachtelmasse aufgetragen. Es traten erneut Ablösungen der Deckenspachtelung auf. Auffallenderweise traten die Ablösungen der Spachtelung jedoch nur an den Fertigteildecken auf. In jenen Bereichen, in denen Deckenergänzungen aus Ortbeton hergestellt worden waren, haftete die Spachtelung trotz identischer klimatischer Bedingungen ordnungsgemäß. Der zunächst hinzugezogene Sachverständige aus dem Malerfach kam zum Schluss, dass die Grundierung nicht oder nicht fachgerecht aufgetragen worden sei, und daher die gipsgebundene Spachtelmasse „verbrannt“ wäre.

Untersuchung von abgelösten Putz- und Spachtelteilen auf Kalium
Röntgenspektrogramm (Aufnahme: ZWL) von der Ablösungsfläche der Spachtelung: Dort hat sich Syngenit (ein Kalium-Sulfat) aus der Reaktion zwischen Kalium – aus dem Beton – und dem gelösten Gips gebildet (braune Banden). Foto: Kerrin LesselIn Fachkreisen ist bekannt, dass häufig an den Ablösungsseiten abgestürzter Putz- beziehungsweise Spachtelmassen erhöhte Kaliumgehalte gefunden werden. Dementsprechend wurden Proben der abgelösten ­Deckenspachtelung auf ihre chemische bzw. mineralogische Zusammensetzung untersucht. Diese Untersuchung erfolgte mittels Röntgendiffraktometrie (XRD) und ergab, dass an der Ablösungsfläche der Gipsspachtelung signifikant mehr Kalium vorhanden war als im Inneren der Spachtelmasse. Das Kalium hatte mit Sulfat (und Kalzium) zum Mineral Syngenit K2Ca(SO4)2 · H2O reagiert. Im Beton ist im Allgemeinen Kalium vorhanden, welches einerseits aus dem Zement stammt, andererseits auch aus Betonzusatzmitteln stammen kann. Wenn das Betonbauteil feucht ist, können Ionen wie zum Beispiel Kalium an die Bauteiloberfläche wandern. Syngenit ist ein wasserhaltiges Kaliumsulfat, welches sich aus der Reaktion von Kalium mit Sulfat (aus dem Gips) und Kalzium (aus dem Beton) in Anwesenheit von Feuchtigkeit bildet, chemische Formel: K2Ca(SO4)2 · H2O. In früheren Untersuchungen (siehe Quelle 4) ging man davon aus, dass die Syngenitkristalle durch Treibeffekte zum „Absprengen“ des Gipsputzes führen – ähnlich wie bei Mauersalpeter. Syngenit wurde deshalb auch als „Treibsalz“ bezeichnet. Weitere Untersuchungen (siehe Quelle 5)  ergaben jedoch, dass die gebildeten Syngenitmengen sehr gering sind. Eine Untersuchung und Auswertung der Kontaktflächen von Putzproben aus 4 Schadenfällen mit erhöhtem Kaliumgehalten an den Ablösungsflächen ergab Syngenitmengen von 0,6 – 5 g/m². Die Syngenitkristalle sind zudem sehr klein, durchschnittlich ca. 5 μm · 2 μm · 2 μm (H x B x T). Sie sollten also problemlos in den Poren des Gipsputzes Platz finden. Die „Treibsalztheorie“ wurde somit verworfen. Einige Fachleute (siehe Quelle 3) vermuteten, dass sich Syngenit in der verwendeten Haftbrücke einlagert und dadurch die Putzhaftung stört. Diese Theorie wurde bis dato nicht vertieft untersucht. Neue experimentelle und rechnerische Laboruntersuchungen (siehe Quelle 5) haben bewiesen, dass auch sehr geringe Syngenitmengen von zirka 1 g/m² den Haftverbund zwischen Beton und Gipsputz nachhaltig stören. Es wird vermutet, dass gleichzeitig Gipskristalle an der Kontaktfläche Gipsputz – Beton gelöst werden und sich in Anwesenheit von Kalium zu Syngenit umwandeln. Somit werden die festigkeitsgebenden Gipskristalle an der Kontaktfläche durch Syngenit ersetzt, der keinen Beitrag zum Haftverbund Gipsputz – Beton leistet. Diese Vermutung der Anlösung der Gipskristalle wird durch Untersuchungen der Kontaktflächen Gipsputz – Beton mit dem Rasterelektronenmikroskop (REM) bestätigt: In den durchgeführten Laboruntersuchungen traten die mit Syngenitbildungen verbundenen Putzablösungen systematisch nur bei einer langanhaltend hohen Luftfeuchtigkeit > 85% rLF bzw. bei nachträglicher Feuchtezufuhr von der Deckenunterseite aus dem Rauminneren auf. Durch diese feuchten Umgebungsbedingungen wird die Trocknung des Betons so lange behindert, dass die Kalium-Ionen an die Bauteiloberfläche transportiert werden. Die in [5] untersuchten Putzablösungen mit Syngenitbildung traten bei den labortechnischen Untersuchungen unabhängig davon ein, ob eine Haftbrücke verwendet wurde oder nicht (!).

Schlussfolgerungen für die Untersuchung von Schadenfällen
Die Spachtelung löste sich augenscheinlich rückstandfrei vom Beton. Beim Wischen mit der Hand über die Ablösungsfläche blieb eine staubige weiße Substanz an der Handfläche haften. Foto: Kerrin LesselBei Haftversagen von Deckenputzen oder Spachtelungen, bei denen sich der Gipsputz bzw. die Spachtelschicht scheinbar „rückstandslos“ vom Betonuntergrund ablösen, ist eine labortechnische  Untersuchung der Kontaktfläche des abgelösten Putzes auf Kaliumanreicherungen beziehungsweise Syngenit sinnvoll. (Anmerkung: Die Proben müssen vorsichtig behandelt werden und dürfen auf der zu untersuchenden Seite nicht angegriffen oder abgeblasen werden.) Entsprechend dem aktuellen Stand der Wissenschaft ist eine Kaliumanreicherung beziehungsweise Syngenit-Bildung an der putzseitigen Kontaktfläche ein Indikator für einen zu hohen Feuchtegehalt im Betonuntergrund. Außerdem weist dies auf ein ungeeignetes, zu feuchtes Innenraumklima nach den Putz- bzw. Spachtelarbeiten hin. Der Umkehrschluss, das heißt wenn kein Syngenit auf den putzseitigen Haftflächen nachweisbar ist, liegt auch kein feuchtebedingter Haftverlust vor, ist jedoch nicht zulässig. Mit der Syngenitbildung verbunden ist ein „Anlösen“ der festigkeitsgebenden Gipskristalle, welches durch Rasterelektronenmikroskopie (REM) sichtbar gemacht werden kann. REM-Untersuchungen erfordern jedoch einen deutlich höheren labortechnischen Aufwand als die Untersuchung auf Kaliumanreicherung oder Syngenit-Bildung. Der beschriebene Mechanismus des Haftversagens kann nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht durch die Verwendung einer Haftbrücke oder Tiefengrundierung verhindert werden. Dr. Kerrin Lessel, Baustoffanalytik und Sachverständige, Mitglied im Internationalen Sachverständigenkreis Ausbau und Fassade (ISK)

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Foto: kuraphoto/AdobeStock_428914080
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